ITALIEN – (Mal wieder) Krise in Regierung

Eine Partei reicht, um Italien in ein politisches Chaos zu treiben. Statt sich um Dürre, Inflation, Energie, Corona-Folgen und Ukraine-Krieg zu kümmern, gibt es (mal wieder) eine Koalition in der Krise.

Worum es diesmal in der italienischen Politik geht…

Italien in der Regierungskrise

Mit Müll in die Krise

Mitte Mai beschließt die Regierung des parteilosen Ministerpräsidenten Mario Draghi (74) ein Hilfspaket von etwa 23 Milliarden Euro. Es geht um Leistungen für Familien, Bedürftige und Unternehmen, die von den Energiepreisen besonders betroffen sind. Die Partei “Fünf Sterne” ist aktuell die stärkste Kraft in der Regierung.

Im Artikel 13 des Hilfspakets geht es um den Bau einer Müllverbrennungsanlage in Rom. Italiens Hauptstadt ächzt seit Jahren unter Müllmassen.

Am Montag (11. Juli) kommt es im Abgeordnetenhaus zu einer Abstimmung über das Hilfspaket, gekoppelt mit einer Vertrauensfrage. Die Fünf Sterne enthalten sich beim Haushalt, sprechen Draghi aber ihr Vertrauen zu.

Anders verläuft die Abstimmung in der zweiten Parlaments-Kammer, dem Senat am Donnerstag, 14. Juli (mehr zum politischen System in Italien hier). Die Fünf-Sterne-Mitglieder boykottieren die Vertrauensabstimmung. Wegen der geplanten Müllverbrennungsanlage in Rom.

Italiens Ministerpräsident Mario Draghi, Archiv-Bild
Foto: European Union 2013 – European Parliament” (CC BY-NC-ND 2.0)

Für Kritiker*innen ein verzweifelter Versuch der Partei, sich wieder zu profilieren – auch wenn Italien dadurch in eine Regierungskrise schlittert. Die “Fünf Sterne” hatten es Anfang 2021 trotz Mehrheit nicht mehr geschafft, eine regierungsfähige Koalition zu bilden. Hatte die frühere Protestbewegung bei der letzten Wahl fast ein Drittel aller Stimmen bekommen, liegt sie in aktuellen Umfragen nur noch bei knapp 12 Prozent.

Der Druck innerhalb der Fünf-Sterne-Partei ist enorm. Ihr Außenminister Luigi di Maio (36) hat mit mehreren Abgeordneten bereits eine eigene Partei gegründet (“Insieme per il futuro”).

Der amtierende (parteilose) Ministerpräsident Draghi hatte vor der Abstimmung noch in einer Pressekonferenz betont, dass es für ihn keine Regierung ohne die Fünf Sterne gebe: „Mit ständigen Ultimaten der Regierungsparteien kann man nicht regieren.“

Nach der Abstimmung, die er auch ohne Stimmen der Fünf Sterne gewonnen hat, reicht Ministerpräsident Draghi deshalb seinen Rücktritt bei Staatspräsident Sergio Mattarella (80) ein. Der lehnt fürs Erste ab. Das Land soll stabil bleiben. Draghi soll am kommenden Mittwoch (20. Juli) im Senat Bericht erstatten und Mehrheiten klären.

Die wichtigsten Fragen vor der Wahl in Italien

Die Wahlen 2022: Wer ist wer und wie läuft alles ab?

Chaos in der Wirtschaft

Kaum verweigern die Fünf Sterne ihre Regierungsunterstützung, stürzen die Kurse in Mailand ab. Die Börse schließt mit einem Minus von 3,4 Prozent. Dabei ist die wirtschaftliche Lage in Italien schon prekär:

  • Corona hat das Land extrem getroffen, die wirtschaftlichen und finanziellen Folgen sind noch nicht ausgestanden. Die Regierung muss im zweiten Halbjahr 2022 weitere wichtige Reformen umsetzen, um sich EU-Milliarden aus dem Corona-Wiederaufbaufonds zu sichern. Eine Aufgabe mit Konfliktpotenzial.
  • Dazu kommen die aktuelle Inflation und Preissteigerungen.
  • Italien ist die drittgrößte Volkswirtschaft in der EU. Es ist ähnlich wie Deutschland besonders abhängig von russischem Gas. Aktuell laufen eigentlich wichtige Verhandlungen mit Algerien.
  • Mit einem Schuldenberg von 150 Prozent der Wirtschaftsleistung steht in der EU nur Griechenland schlechter da. Im Herbst muss der Haushalt beschlossen werden, was traditionell zu Streit führt.
  • Aktuell leidet vor allem die italienische Landwirtschaft unter einer extremen Dürre und Trockenheit. Es wird teilweise mit Ernte-Verlusten von mehr als 50 Prozent gerechnet.
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Kommt es zu vorgezogenen Wahlen in Italien?
Foto: Martinns/Getty Images Signature via canva.com

Wer profitiert von Neuwahlen?

Im kommenden Frühjahr finden die Parlamentswahlen regulär statt. Aktuell fordern erste Stimmen auch über vorgezogene Neuwahlen. Wie zum Beispiel die postfaschistischen “Fratelli d’Italia”, die Brüder Italiens. Deren oberster “Bruder” Giorgia Meloni (45, tatsächlich eine Frau) verkündete schon, dass man zum Regieren bereit sei. Auch die Lega und Forza Italia könnten sich laut Prognosen bei vorzeitigen Wahlen vermutlich mehr Stimmen sichern.

Die Sozialdemokraten in der Regierung und die Kleinpartei “Italia Viva” (von Ex-Regierungschefs Matteo Renzi, 47) sind gegen Neuwahlen und unterstützen Draghi. Italien müsse so schnell wie möglich aus der wirtschaftlichen und finanziellen Abwärts-Spirale kommen.

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Wo kommt Draghi eigentlich her?

Die Regierung von Ministerpräsident Mario Draghi wird Anfang 2021 aus der Not heraus geboren. Das vorherige Regierungs-Bündnis unter Giuseppe Conte (5-Sterne-Bewegung) findet keine Mehrheit mehr. Mitten in der Pandemie hat Italien keine Regierung.

Staatspräsident Mattarella gibt bekannt, dass angesichts der schwierigen Lage im Land zum Wohle aller eine parteiübergreifende Regierung angestrebt werden soll. Er lädt Mario Draghi zu Sondierungsgesprächen ein.

Draghi erscheint als Retter am Horizont. Als ehemaliger EZB-Präsident hat er hervorragendes Ansehen im In- und Ausland, außerdem ist er parteilos. Seine Arbeit beginnt er ruhig, schafft ein Bündnis von links nach rechts. Für Italiens Wohl müssen Partei-Interessen hinten an stehen, so sein Motto. Er fordert eine “Regierung der nationalen Einheit”. Das funktioniert zunächst. Für knapp 200 Milliarden Euro aus dem Corona-Wiederaufbaufond der EU müssen Reformen dringend eingeleitet werden.

Der Ukraine-Krieg

Draghis Appell an die “nationale Verantwortung” nutzt sich im Laufe der Monate ab. Als der Ukraine-Krieg ausbricht, werden die Unterschiede innerhalb des zusammengewürfelten Regierungsbündnisses deutlicher. Draghi fordert die Unterstützung der Ukraine und ihre Aufnahme als Beitrittskandidatin in die EU.

Italiens langjähriger Regierungschef und “Forza Italia”-Parteichef Silive Berlusconi pflegt hingegen seit Jahren eine Freundschaft zu Russlands Wladimir Putin. Die Rechtspopulisten von der “Lega per Salvini” stehen dem Kreml ebenfalls sehr nahe, pflegen Kultur- und Austauschprogramme. Immer wieder wird über angeblich illegale Millionenspenden aus Moskau an die Partei berichtet, was Parteichef Salvini stets dementiert.

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Italien in einer Regierungskrise: Die Auswege…
Foto: egromov/Getty Images via canva.com

Und jetzt? Die Perspektiven…

Folgende Szenarien sind in Italien möglich:

Möglichkeit A: Der Ministerpräsident stellt sich einem erneuten Misstrauensvotum in beiden Kammern. Besteht Draghi die Abstimmung mit großer Mehrheit (eventuell sogar mit Unterstützung der Fünf Sterne), würde die Koalition weiter regieren wie bisher. Auch eine Koalition ohne Fünf-Sterne-Bewegung ist denkbar, dafür mit der abgespalteten Fünf-Sterne-Gruppe “Insieme per il futuro”.

Möglichkeit B: Es findet sich keine Mehrheit im Kabinett. Staatspräsident Mattarella muss das Parlament auflösen und Neuwahlen ansetzen – innerhalb von 70 Tagen. Zum ungünstigsten Zeitpunkt: Aktuell geht Italien traditionell in den Sommerschlaf, im Herbst muss der Haushalt durchs Parlament gebracht werden, die Parteien müssten Hals über Kopf mit Wahlkampf starten.

Möglichkeit C: Um die Sommerpause zu überbrücken und den Parteien mehr Zeit für Wahlkampf zu verschaffen, wird eine geduldete “Strandregierung” mit einem Übergangs-Ministerpräsident eingesetzt.

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geschrieben von Annie Kayser, zuerst veröffentlicht am 16. Juli 2022

Titelbild / Montage – Fotos: : Starcevic/Getty Images Signature via canva.com; European Union 2011 PE-EP/Pietro Naj-Oleari by CC BY-NC-ND 2.0

Quellen: eigene Recherche; Auswertung der aktuellen Tages- und Wochenpresse

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