Italien hat keinen Kapitän mehr. Ministerpräsident Mario Draghi (74) hat am Donnerstag (21. Juli 2022) seinen Rücktritt eingereicht. Am 25. September gibt es vorgezogene Neuwahlen im Bel Paese. Ein maximal ungünstiger Zeitpunkt.
Die Wahlen 2022 in Italien: Wer steht für was?
In den nächsten Wochen und Monaten muss Italien eigentlich wichtige Reformen durchsetzen, um die nächste Milliarden-Auszahlung der EU-Corona-Hilfen zu bekommen. Außerdem muss im zweiten Halbjahr der Haushalt 2023 geplant werden, was in der Regel langwierige Verhandlungen mit sich bringt. Dazu kommen die aktuell katastrophale Dürre und Wasserknappheit in Italien, die exorbitante Staatsverschuldung, die Inflation, Energiekrise und der Ukrainekrieg.

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Das im Februar 2021 vereidigte Kabinett der „nationalen Einheit“ ist nur noch geschäftsführend im Amt, das Parlament aufgelöst.
Bereits vergangene Woche hatte Ex-EZB-Präsident Draghi seinen Rücktritt bei Staatspräsident Sergio Mattarella (80) eingereicht. Da hatte Mattarella noch abgelehnt, den parteilosen Draghi zu Sondierungsgesprächen im Parlament aufgefordert.
Die Mailänder Börse reagierte mit zwischenzeitlich minus zwei Prozent auf Draghis Rücktritt, der Risikoaufschlag für italienische Staatsanleihen stieg.
Die wichtigsten Fragen vor der Wahl in Italien
Keine Einigung
EU-Befürworter Draghi genießt international hohes Ansehen. Die Bürgermeister und Bürgermeisterinnen aus Florenz, Mailand, Neapel, Rom und mehr als 2000 italienischen Städten hatten Draghi zum Weitermachen aufgefordert:
»Lasst uns ein für alle Mal beweisen, dass wir ein seriöses Land sind«, forderte zum Beispiel Antonio Decaro (52) aus Bari, der dem italienischen Städte- und Gemeindebund vorsteht.

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Am Mittwochabend (20. Juli) hatte Draghi in der Abgeordnetenkammer einen Pakt zwischen den Parteien gefordert, um die Krise zu beenden. Draghi erhielt zwar die Mehrheit, aber die drei großen Koalitionsparteien – Lega, Fünf Sterne, Forza Italia –boykottierten das Votum.
Erst Anfang 2021 war der parteilose Draghi als Regierungs-Retter in der Not an Italiens Spitze eingesprungen. Draghi forderte dafür nationale Einheit von links nach rechts, um die Krise zu meistern. Die stimmstärkste Fünf-Sterne-Bewegung hatte zu dem Zeitpunkt keine Regierungsmehrheit mehr erreicht.
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Anfangs zogen die Parteien unter Draghi an einem Strang, setzten gemeinsam wichtige Reformen durch und sicherten EU-Milliarden aus der Corona-Aufbauhilfe. Vergangene Woche sprengte die Fünf-Sterne-Bewegung die Einheit: Sie boykottierten Draghis Konjunkturpaket, das mit einer Vertrauensabstimmung im Senat verbunden war. Stein des Anstoßes war der Bau einer Müllanlage in Rom.

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Kritiker werfen der Fünf-Sterne-Bewegung vor, die Regierungskrise nur aus Profilneurose ausgelöst zu haben. Hatte die Partei bei der Wahl noch mehr als ein Drittel der Stimmen, war sie auf 12 Prozent herab gesunken. Tendenz aktuell: weiter sinkend.
Droht Italien der Rechtsruck?
100 Jahre nach dem faschistischen „Marsch auf Rom“ droht Italien wieder ein Rechtsruck. Weit vorne in der Wählergunst liegt derzeit die postfaschistische Oppositionspartei „Fratelli d’Italia“. Deren oberster Bruder Giorgia Meloni (45) könnte laut Prognosen Italiens erste Frau an der Spitze werden. Von 2008 bis 2011 war Meloni Jugendministerin unter Berlusconi.
Gemeinsam mit der rechten Lega und der konservativen Forza Italia von Ex-Regierungschef Silvio Berlusconi (85) könnte der rechte Block in Italien die Mehrheit erreichen. Alle drei Parteien sind EU-feindlich und Russland freundlich.

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Was auf den ersten Blick harmonisch rechts aussieht, birgt allerdings Konfliktpotenzial. Dass Lega-Chef Matteo Salvini (49) oder Silvio Berlusconi auf den Ministerpräsidenten-Posten verzichten, scheint aus Ego-Gründen kaum vorstellbar. Auch wenn sie aktuell die meisten Stimmen bekäme, muss Giorgia Meloni sich intern erst noch durchsetzen

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Innerhalb der Lega gibt es Knatsch: Einige Lokalfürsten aus dem wirtschaftlich starken Norden hätten gerne die Kontinuität unter Draghi behalten. In der Forza Italia gibt es Kritik, dass Berlusconi seinen eigenen Zögling, Mario Draghi verraten habe. Die Ministerin für regionale Angelegenheiten Mariastella Gelmini trat deswegen unter Protest aus der Partei aus.
In den Umfragen ist die sozialdemokratische Partito Democratico (PD) unter Enrico Letta stabil und etwa gleichauf mit den „Fratelli d’Italia“. Ihr Problem ist allerdings, dass es aktuell keine andere Parteien aus dem Mitte-Links-Lager gibt, die ausreichend Stimmen erreichen. Eine absolute Mehrheit im Parlament scheint damit schwierig.
Die Mitte-Links träumt von einer Rückkehr Mario Draghis in eine Reform-orientierte, liberale Koalition. Ob der aber überhaupt wollen würde, scheint fraglich…
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zuerst veröffentlicht am 22. Juli 2022
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